Da fährt er dahin …

Unsere Autorin Kathrin Fechner über den Abschied von einem dinglichen Familienmitglied.

Vor 14einhalb Jahren haben wir unser erstes Auto gekauft. Wir wohnten damals in der Stadt und erwarteten unser drittes Kind zu zwei kleinen Brüdern im Alter von zwei und vier. Der Vater meiner Söhne war stets Bahn-reisend unterwegs, ich schaffte alles mit dem Fahrrad und fuhr in Stuttgart noch hochschwanger und mit dickstem Bauch alle Berge rauf und runter. Selbstredend ohne E-Bike, dieser Hype begann erst sehr viel später. Schade, dass ich nie die Kilometer notiert habe. Auch der Tracking-Hype kam lange danach.

Irgendwann bin ich mit dem Fahrradanhänger mitten auf der Straße umgekippt, weil ich ein Hinterrad versehentlich auf den Bordstein setzte. Meine Jungs donnerten mit ihren Helmen aneinander, lagen seitlich aufeinander und beobachteten erstaunt mein Tun: Ich warf das Fahrrad fort, prüfte den Zustand der Söhne und packte dann an, um den Hänger aufzurichten. Klar zum Scheitern verurteilt, schnallte ich frustriert einen Sohn nach dem anderen ab, stellte das Gefährt zurecht, setzte Sohn 1 und Sohn 2 zurück in die Sitze, befestigte sie erneut, fuhr weiter. Übrigens war ich stocksauer, weil mir keine/r der ebenfalls von der Rotphase betroffenen Autofahrer*innen geholfen hatte. Letztendlich war uns nichts passiert, wir kamen gut ans Ziel. Aber ich war völlig geschafft. Und fasste einen Entschluss: Ein Auto sollte her. Das Fahrzeug brauchte Schiebetüren auf beiden Seiten und eine große Heckklappe.

Das Auto kam: Ein kleiner, silberfarbener VW Caddy, gekauft wie er auf dem Parkplatz des Nutzfahrzeuge-Händlers stand. Farbe egal, Ausstattung gleichgültig, damals preislich unschlagbar inkl. Winterreifen, verfügbar ohne Wartezeit. Zwei Tage vor der Geburt holten wir unser Auto ab. Die denkwürdige erste Fahrt war die zur Entbindungsklinik, weil ich – entgegen dem festen Vorsatz – die kurze Strecke doch nicht mehr zu Fuß bewältigen konnte.

Bis heute halte ich unser dingliches Familienmitglied für die weltbeste Wahl: Unser Caddy transportierte halbe Fußballmannschaften, den Familien-Fuhrpark einschließlich aufgebautem Kinderwagen mit defektem Klapp-Mechanismus, fuhr unzählige Male mit fünf Personen in den Campingurlaub, zog später einen Anhänger mit Fahrrädern und Wassersportzeug oder schwerstem Material vom Baumarkt, wir konnten meine verstreute Verwandtschaft in der westfälischen Diaspora besuchen. Drei Hartschalen-Kindersitze nebeneinander waren kein Problem, aus der Typenbezeichnung „Caddy Life“ machte der Ehemann ein „Lady Fec“ zu Ehren der Hauptfahrerin. Irgendwann durfte jeder Sohn erstmals vorne sitzen, wir fuhren zur Blinddarm-Operation und mit blutender Wunde zum Unfallchirurgen. Der älteste Sohn startete als Führerschein-Neuling im Lady Fec seine Karriere, packte sein Hab und Gut für den Umzug in die erste eigene Wohnung hinein. Kurzum: Der Caddy wuchs uns sehr ans Herz, er wurde Teil unseres Lebensraums.

Vor einiger Zeit begannen die Wehwehchen, Geräte fielen aus, Reparaturen wurden teurer. Die Klimaanlage hatte schon vor Jahren aufgegeben. Gleichzeitig wurden die Söhne älter; Urlaubsfahrten machen wir jetzt zu viert, der größte Sohn kommt mit der Freundin separat dazu. Dann der Getriebeschaden, die Entscheidung war gefallen: Der Caddy verlässt unsere Familie. Wir gingen sehr pragmatisch damit um, klar, wir sind ja alle groß und klug und wissen, dass Autos kaputt gehen. Corona spielte uns in die Hände, wir konnten den Caddy gut verkaufen. Doch als er dann davonfuhr, tat es ehrlich weh! Lächerlich beinahe angesichts dessen, was Menschen anderswo in Europa derzeit hinter sich lassen müssen.

Dennoch: Hiermit setze ich ein Denkmal für ein vielgenutztes und heißgeliebtes Ding, welches meine Familie eine gefühlte Ewigkeit begleitet hat. Für uns endet eine Ära, nämlich die, als die Kinder klein waren. Die der gemeinsamen Reisen. Es endet eine Ära des Ankommens und des Abschiednehmens, des ständigen Neubeginnens und Dazulernens, eine ganz ganz intensive Zeit in unserem Familien-Kosmos. Der Caddy war ein wesentlicher Teil davon, was Beulen und Schrammen belegen. So seltsam das klingt: Wir behalten unseren Caddy dankbar in Erinnerung. Bald bekommen wir unser erstes E-Fahrzeug, die Zeit bis dahin überbrücken wir mit einem, wie könnte es auch anders ein, Caddy: dunkelblau und wunderschön.

 

K Fechner
Kathrin Fechner
fressbefreit@gmail.com

Kathrin Fechner ist Rheinländerin in Stuttgart, außerdem leidenschaftliche Schreiberin zu vielen Themen, die sich insbesondere aus ihrem turbulenten Familienleben mit 3 pubertierenden Söhnen, ihrer Sportbegeisterung und ihrer persönlichen Gesundheitsbiografie ergeben. Kathrin leistet glücklich Hintergrundarbeit im kirchlichen Dienst.

1 Kommentar
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    Sabine A.
    Veröffentlicht um 17:56h, 05 Juli Antworten

    So empfinden nur Frauen …. und es darf auch mal eine Träne kullern, wenn das treue Gefährt, das mich eine lange Zeit begleitet und treu seinen Dienst geleistet, mich immer sicher und unfallfrei transportiert hat, den Weg in eine andere Richtung fährt. Auch dann, wenn diese Entscheidung sehr bewusst gefallen ist und die Freude auf ein neues Fahrzeug ebenfalls ihre Berechtigung hat. Der Caddy hat sein Denkmal verdient.

    Danke für die tollen ehrlichen Worte.

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