Muttersein in Haft (II): “Am Anfang fühlte ich mich als Versagerin. Jetzt kriegen wir den Rest auch noch rum”

Mutterschaft im Gefängnis. Teil II unserer Interview-Reihe.

In unserer Interview-Reihe “Muttersein in Haft” wollen wir diejenigen Frauen zu Wort kommen lassen, deren Belange wir normalerweise nicht im Blick haben. Vielen Dank an Schwester Sabine Götz, Vinzentinerin von Untermarchtal und seit Ende 2011 Gefängnisseelsorgerin an der Frauenvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd. Sie hat für uns eine Mutter in Haft befragt, der wir für ihre Offenheit ebenfalls von Herzen danken. Alle Daten sind anonymisiert.

Schwester Sabine Götz, Vinzentinerin von Untermarchtal,
ist seit Ende 2011 Gefängnisseelsorgerin an der Frauenvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd.

 

Die befragte Mutter ist 32 Jahre alt, hat eine abgeschlossene Berufsausbildung und war acht Jahre lang verheiratet. Aus dieser Ehe hat sie zwei Söhne (zehn und sechs Jahre), die aktuell bei ihrem neuen Lebensgefährten leben. Ihr dritter Sohn ist anderthalb Jahre alt und stammt aus der Beziehung mit ihrem Lebensgefährten. Das Kind ist mit der Mutter in der JVA. Die Haftdauer beträgt zwei Jahre und acht Monate.

Wie oft finden Kontakte zu den Kindern statt und wie sieht der Alltag in der Mutter-Kind-Einrichtung aus?  

Mit den Kindern, die bei meinem Lebensgefährten leben, skype ich drei Mal pro Monat für jeweils 20 Minuten. Vor Beginn der Corona-Krise gab es ab und an Besuche in der Anstalt – aber nur wenn die Kinder das wollten. Ich wollte sie nie dazu zwingen. Fünfeinhalb Monate nach Haftantritt gab es für mich so genannte vollzugsöffnende Maßnahmen in Form von Ausgängen, sodass ich meine Kinder mit meinem Lebensgefährten draußen treffen konnte. Darüber hinaus war mein jüngster Sohn regelmäßig beim Rest der Familie zu Besuch. Es ist mir wichtig, dass ein guter Kontakt zum Vater und den Geschwistern besteht.

In der Mutter-Kind-Abteilung ist der Tagesablauf sehr strukturiert und läuft wie folgt ab: Vor dem Aufschluss richte ich meinen Sohn, im Anschluss geht er in den Hort und ich bis 15 Uhr zur Arbeit. Danach bin ich für mein Kind zuständig. Frühstück und Mittagessen gibt es im Hort, das Abendessen bereite ich zu. Wenn ich von der Arbeit komme, ziehe ich meinen Sohn kurz um und dann gibt es mindestens eine Stunde Hofgang. Um 18.30 Uhr ist Einschluss. Über Nacht bleibt mein Kind bei mir.

Die Corona-Zeit war sehr schlimm für die Kinder, dass der Kleine nicht übers Wochenende nach Hause konnte, dass es keine Ausgänge gab und keinen Besuch. Die Probleme nahmen von Woche zu Woche zu.

Wie fühlen Sie sich als Mutter im Strafvollzug? 

Anfang war es sehr schlimm, ich fühlte mich als Versagerin und hatte das Gefühl, meine Kinder im Stich zu lassen. Ich stellte meine Mutterqualitäten in Frage. Bei meinem jüngsten Kind mache ich mir Vorwürfe, weil ich es mit in die Anstalt nehmen musste und dem Vater so viele Erinnerungen weggenommen habe. Es tröstet mich, dass mein Lebensgefährte immer betont hat: “Das Kind gehört zur Mutter”. Auch bei meinen anderen Kindern habe ich vieles verpasst, zum Beispiel die Einschulung und ihre Geburtstage. Das kann ich nicht mehr nachholen. All das war mir bei der Tat nicht bewusst.

Was wünschen Sie sich für die Beziehung zu Ihren Kindern?

Endlich nach Hause dürfen und dass die Kinder mir irgendwann einmal verzeihen werden.

Fällt es Ihnen schwer, Ihre Kinder bei anderen Personen zu wissen?

Nein, ich weiß meine Kinder gut aufgehoben bei ihrem Stiefvater und der Verwandtschaft beider Seiten. Alle geben sich enorm viel Mühe, um die Kinder aufzufangen. Auch der Stiefvater ist sehr engagiert.

Haben Sie die Beziehung zur eigenen Mutter als schwierig erlebt?

Die Beziehung zu meiner Mutter war gut und gefestigt. Meine Mutter war und ist eine Vertrauensperson für mich, die mich auffängt, die hinter mir steht, die mich stark macht, um das hier zu überstehen.

Was gibt Ihnen Hoffnung bzw. Trost? Für sich selbst, aber auch in Beziehung zu den Kindern? 

Trost gibt mir der Zusammenhalt in der Familie. Niemand hat sich von mir abgewendet, auch nicht die Familie meines Partners. Und das obwohl ich alles offen gesagt habe. Im Gegenteil: Die Familien haben mich bestärkt für die Zeit der Haft: „Du schaffst das, wir sind da“. Es tröstet mich auch zu wissen, dass es draußen ganz gut geklappt hat. Wir werden nach der Haft eine Familientherapie machen und jeder für sich eine Einzeltherapie. Mein Partner ist bereits in Einzelbegleitung.

Es spornt mich an, dass ich meinen Kindern in Zukunft geben will, was sie verdient haben. Dass meine Eltern gut für die beiden Älteren sorgen und es ihnen gut geht, gibt mir Sicherheit.

„Jetzt sind wir so weit gekommen, jetzt kriegen wir den Rest auch noch rum!“

Mirjam Hübner
Mirjam Hübner
mirjam.huebner@online.de

Mirjam Hübner ist Diplom-Journalistin und Kommunikationstrainerin. Sie berät die Evangelischen Frauen in Württemberg in Fragen der Online-Kommunikation und der Pressearbeit. In ihrer Freizeit wandert und liest sie gerne – am liebsten mehrere Bücher gleichzeitig.

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