Corona-Krise: Finanzielle und räumliche Not der Frauenhäuser im Land

Die aktuelle Krisensituation zeigt die finanzielle und räumliche Not der Frauenhäuser in Baden Württemberg von ihrer konzentrierten Seite.

EFW-Referentin Elsa Böld im Interview mit der Referentin Martina Haas-Pfander vom Diakonischen Werk Württemberg über die aktuelle Lage in den Frauen- und Kinderschutzhäusern.

Liebe Frau Haas-Pfander, welche Themen fallen in Ihren Zuständigkeitsbereich beim Diakonischen Werk?

Ich bin jetzt seit einem Jahr im Referat für die Themen Schwangerenberatung, Frauen- und Kinderschutzhäuser und für den Bereich Zwangsprostitution tätig. Das Thema Frauen- und Kinderschutzhäuser verlangt derzeit meine größte Aufmerksamkeit. Der schon vorher deutlich spürbare Mangel in der Versorgung der gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern zeigt sich in der derzeitigen Krisensituation umso deutlicher.

Wie viele Frauenhäuser gibt es derzeit in Baden-Württemberg und wie sieht die Bestandslage aus?

Insgesamt bestehen derzeit 42 Frauen- und Kinderschutzhäuser in Baden-Württemberg. Die meisten sind im Verband der Paritätischen organisiert, einige auch im Verband der autonomen Frauenhäuser. In meinen Zuständigkeitsbereich fallen davon vier Frauen- und Kinderschutzhäuser der Diakonie Württemberg und zwei der Diakonie Baden. Der Bestand reicht aber nicht aus, um allen in Not geratenen und von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern in Baden-Württemberg eine sichere Unterkunft zu gewährleisten. Derzeit fehlt es in Baden-Württemberg laut dem Ministerium insgesamt an 630. Davon 214 für Frauen und 420 für Kinder. Die derzeitige Wohnungsknappheit verschärft das Unterbringungsproblem zusätzlich, weil Frauen, die nach dem Frauenhausaufenthalt entlassen werden könnten, keine Wohnung finden und das System weiter damit belasten.

Was unternimmt die Landesregierung dagegen?

Die Frauenhäuser in Baden-Württemberg sind in dem verbandsübergreifendem Arbeitskreis Frauenhausfinanzierung (VAK) unter dem Dach des Paritätischen organisiert und thematisieren schon seit Jahren die unzureichende Finanzierung der Frauenschutzhäuser. Mit dem Landesaktionsplan „Gegen Gewalt an Frauen“ hat die Landesregierung 2014 auf die mangelnde Unterstützung für Frauen in Notsituation und den Mangel an Plätzen reagiert. Ziel des Aktionsplanes war es unter anderem, die Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt zu schützen und sie in der Perspektive auf ein Leben ohne Gewalt zu unterstützen. 2018 trat die in Deutschland sogenannte „Istanbul Konvention“[i] in Kraft und brachte das Thema „Gewalt gegen Frauen“ auch in der Baden-Württembergischen Landesregierung wieder auf die Tagesordnung. Seitdem ist diese an der Umsetzung der Konvention bemüht, in dem sie die erforderliche Infrastruktur, wie z. B. zugängliche Frauenhäuser und Beratungsstellen oder die Möglichkeit zur anonymen Beweissicherung nach geschlechtsspezifischer Gewalt sicherstellt.

Eine große aktuelle Bedarfsanalyse des Landes ergab aber, dass acht Landkreise über keine spezialisierte Beratungsstelle, Interventionsstelle oder einen Frauennotruf verfügen. Neun Landkreise halten derzeit kein eigenes Frauen- und Kinderschutzhaus vor. Das ist eine unzumutbare Situation im Hinblick darauf, dass sich die Finanzierung der Unterkunft für Frauen, die eigentlich aus einem anderen Landkreis stammen, oft schwierig durchzusetzen ist.

Wie werden die Frauen- und Kinderschutzhäuser finanziert?

Die Frauen- und Kinderschutzhäuser zeigen sich in der Finanzierung als unübersichtlicher föderaler Flickenteppich. Die Finanzierung wird in jedem Bundesland und in jeder Kommune anders geregelt und bringt damit enorme Ungleichheiten hervor. Die baden-württembergischen Kommunen finanzieren die Unterbringung dabei im Einzelfall über sogenannte Tagessätze, vornehmlich nach dem zweiten oder dem zwölften Sozialgesetzbuch. Tagessatzfinanzierung heißt, dass die Gesamtkosten der Frauenhausarbeit auf einen Tagessatz pro Frau umgerechnet werden. Ein solcher Tagessatz schließt alle Kosten von Wohnen, Verpflegung bis zum Unterhalt ein. Er variiert von Kommune zu Kommune. Dazu gibt es Zuschüsse vom Land für Gebäude, Instandhaltung und Personal. Frauen mit genügend Einkommen müssen die Kosten für eine Unterbringung im Frauenschutzhaus selbst tragen und Frauen ohne ausreichendem Einkommen müssen dafür Sozialleistungen beantragen. Bei einigen Frauen wie z.B. Selbständigen, Studentinnen oder Rentnerinnen ist die Finanzierung nach wie vor ungeklärt. Leider werden Kosten, die durch Frauen aus anderen Bundesländern entstehen, auch nicht in jedem Fall übernommen. Die Zuständigkeiten hierfür werden hin- und hergeschoben und dann bleiben die Frauenhäuser auf den Kosten sitzen.

Mit dem Förderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ gibt es nun auch eine Finanzierung des Bundes. Für 2020 sind insgesamt 30 Millionen Euro vorgesehen, die das Ziel verfolgen, die Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfs- und Betreuungseinrichtungen auszubauen und finanziell abzusichern. Dieses Geld wurde in der derzeitigen Corona-Krise in Soforthilfen umgewandelt. Diese hilft den Häusern aber derzeit nicht weiter, da die einmaligen Sachkosten zwischen 10.000 bis 15.000 Euro größtenteils in die technische Ausstattung für den Ausbau der Online-Beratung eingesetzt werden.

Wie zeigt sich die derzeitige Corona-Krise in der Beratung sowie bei den Frauen- und Kinderschutzhäusern?

Die aktuelle Lage zeigt sich in den Häusern sehr unterschiedlich. Grundsätzlich ist es jetzt zu früh, um die Auswirkungen der Isolation im Hinblick auf die häusliche Gewalt zu beurteilen. Einige Experten sagen, dass die Welle an hilfsbedürftigen Frauen und Kindern noch kommen wird. Trotzdem ist ein Anstieg von hilfesuchenden Frauen bereits spürbar. Insbesondere die Mitternachtsmission Heilbronn der Diakonie verzeichnet einen Anstieg von Anrufen gewaltbetroffener Frauen. Dies mag vor allem daran liegen, dass die Beratungsstelle des Frauen- und Kinderschutzhauses der Mitternachtsmission, anders als bei anderen Frauenschutzhäusern, eine Beratung rund um die Uhr anbietet und den gewaltbetroffenen Frauen eine sofortige Hilfe anbieten kann. Weil die Frauenschutzhäuser so überlastet sind, musste die Heilbronner Mitternachtsmission kürzlich bereits eine schwer gefährdete Frau in der Küche des Frauenschutzhauses unterbringen, um ihr Leben zu schützen. Das ist natürlich keine dauerhafte Lösung und für die Betroffene wie auch die anderen Bewohnerinnen und ihren Kindern eine sehr belastende Situation.

Ein weiteres Problem verschärft die momentane Lage in den Frauenschutzhäusern: die derzeitige Situation auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Im Moment ziehen kaum Frauen aus, weil kaum ein Vermieter bereit ist die sozial benachteiligten Frauen in der verschärften Lage aufzunehmen. Die Rückkehr zu den Männern war auch vor der Corona-Krise Realität. Die derzeitige Enge hat diese Entscheidung der Frauen aber zusätzlich erhöht. Damit werden wieder mehr Frauen den Männern in ihrem Haushalt schutzlos ausgeliefert.

Ist es in den Frauenschutzhäusern derzeit überhaupt möglich, die Vorgaben für den Infektionsschutz einzuhalten?

Die Frauenhäuser waren bereits vor der Corona-Krise mehr als ausgelastet. Die Einhaltung eines Mindestabstandes ist kaum möglich. Die Frauenschutzhäuser regeln dieses im Moment theoretisch über Zeitpläne, wann, wer, welchen Raum betreten sollte, damit ein unnötiger Kontakt vermieden werden kann. Trotzdem sind die Räumlichkeiten zu eng und überbelegt, um die Vorgaben des Infektionsschutzes einhalten zu können.

Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege fordert Ausweichquartiere etwa in leerstehenden Ferienwohnungen- bzw. Ferienhäusern um die Belegung in den Frauenschutzhäusern zu entlasten. Gibt es diesbezüglich bereits Bestrebungen in diese Richtung in den Kommunen?

Die Ausweichquartiere sind sicher eine gute Idee und in der derzeitigen Situation notwendig. In der Praxis gestaltet sich dies allerdings sehr problematisch aufgrund der ungeklärten Finanzierung. Ausweichquartiere können nur dann finanziert werden, wenn das Land dies verordnet, weil dafür zusätzliche Gelder anfallen. Aber wer die Kosten dafür übernimmt, ist nach wie vor ungeklärt. Auf die gestiegenen Anrufe gewaltbetroffener Frauen reagiert das Land derzeit über das Hilfetelefon oder auch mit Platzverweisen der Männer. Aber auch das ist keine Lösung, da die große Anzahl der dafür benötigten Plätze nicht so schnell geschaffen werden kann.

Welche Hilfen erreichen die Frauen derzeit im Hinblick darauf, dass Schulen und Kitas größtenteils geschlossen sind und sie einer Erwerbstätigkeit kaum nachgehen können?

Nur wenige Frauen in den Frauenschutzhäusern sind berufstätig. Daher sind sie nach wie vor selbst für die Kinderbetreuung verantwortlich. Viele Ehrenamtliche haben vor der Corona-Krise viel zur Entlastung der Frauenschutzhäuser beigetragen. Aufgrund des Kontaktverbots und der Tatsache, dass die Ehrenamtlichen größtenteils selbst zur Risikogruppe gehören, ist diese Unterstützung teilweise weggebrochen. Trotz dieser Hindernisse ist es beeindruckend, mit welcher Improvisation und fantastischen Arbeit die Mitarbeiterinnen in den Frauenschutzhäusern arbeiten. Sie bemühen sich sehr eigeninitiativ darum, neue Konzepte für die soziale und psychologische Beratung zu finden.

Zusätzlich erreichen die Frauenschutzhäuser viele materielle Spenden, die den Alltag mit Kindern sehr erleichtern.

Welche Schritte braucht es Ihrer Meinung nach in der Zukunft um die Beratung gewaltbetroffener Frauen und die Frauenschutzhäuser zu unterstützen?

Mit der Corona-Krise zeigt sich jetzt, was die letzten Jahre versäumt wurde. Wir bräuchten ein ganz neues Gesamtkonzept. Grundsätzlich muss auf Bundesebene ein klarer Rechtsrahmen geschaffen werden, um den Zugang zur Beratung und zu Schutzunterkünften unabhängig von Einkommen, Wohnort und Aufenthaltsstatus bundesweit einheitlich zu sichern. Aktuell braucht es zuallererst was die Finanzierung betrifft, Veränderungen! Hier muss deutlich mehr Geld vom Land eingeplant werden.

Außerdem müssen Frauenhäuser für alle gefährdeten Frauen offenstehen. Es darf nicht sein, dass z.B. Frauen mit älteren Söhnen nicht aufgenommen werden können oder weil eine körperliche Behinderung an der Barrierefreiheit scheitert.

Frauenhäuser leben durch Spenden und Ehrenamtliche. Was uns derzeit in Baden-Württemberg fehlt und einige Bundesländer schon umgesetzt haben, ist ein Ampelsystem, dass den Beratungsstellen hilft ganz unkompliziert einen Platz in einem Frauenschutzhaus zu finden. Im Moment braucht es viel Zeit und Mühe die Lage in den Frauenhäusern einzeln zu erfragen, um den gewaltbetroffenen Frauen eine Unterkunft zu sichern. Abgesehen davon, dass es eben gar nicht genug Plätze gibt.

Vielen Dank Frau Haas-Pfander für diese sehr aufschlussreiche Telefon-Interview!

[i] Am 1. Februar 2018 ist in Deutschland das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention, in Kraft getreten. Mit der Istanbul-Konvention gilt ein rechtlich bindendes Instrument zur Bekämpfung jeglicher Form von Gewalt gegen Frauen. Das Übereinkommen enthält umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter.

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