04 Mai “Ich sorge mich um die psychosozial belasteten Frauen und ihre Kinder”
Ella, 54 Jahre, ist Sozialarbeiterin und arbeitet seit 20 Jahren in einer stationären Stuttgarter Mutter-Kind-Einrichtung. Sie lässt uns an ihren Erfahrungen in der Corona-Krise teilhaben.
Mein Arbeitsplatz
In unserer stationären Wohngruppe leben jugendliche und erwachsene Schwangere und Mütter. Alle diese Frauen sind psychosozial belastet und können den Alltag mit ihren kleinen Kindern nicht alleine bewältigen. Wir Sozialarbeiterinnen bieten eine Rund-um-Betreuung und unterstützen die Klientinnen beim Aufbau einer tragfähigen Mutter-Kind-Beziehung. Letzteres ist oftmals sehr herausfordernd, weil die Frauen sehr schnell an ihre Belastungsgrenze kommen. Es gibt aber auch tolle Momente, etwa wenn wir sehen, wie sich die Kinder trotz ihres schweren Starts ins Leben gesund entwickeln und eine gute Bindung zur Mutter entwickeln. Manche dieser kleinen Menschen verfügen über eine erstaunliche Resilienz. Nach der Zeit in der Wohngruppe können die Frauen ins so genannte Trainingswohnen wechseln. Die Mütter leben dann selbstständig, werden aber dennoch weiter niedrigschwellig sozialpädagogisch betreut. Unsere hauseigene Kindertagesstätte steht allen Kindern der Wohngruppe offen.
Was macht Corona mit unserer Arbeit?
Um das Infektionsrisiko zu senken, sprachen wir mit Beginn des Shutdowns ein allgemeines Besuchsverbot aus. Davon mussten wir aber recht schnell wieder abrücken, weil das psychisch von den Frauen nicht verkraftet wurde. Mittlerweile dürfen die Mütter wieder Besuch von ihren Partnern empfangen. Über die Einhaltung des Kontaktverbots außerhalb unserer Einrichtungen müssen wir mit den Klientinnen immer wieder neu diskutieren. Überwachen können wir es nicht. Unsere Arbeit macht es außerdem unmöglich, die Abstandsregeln zu den Müttern einzuhalten. Wenn ich einer Frau ihr Kind abnehme, weil sie aktuell überfordert ist, kann ich das nicht über eine Distanz von anderthalb Metern tun. Mittlerweile sind wir aber gut mit Mundschutz und für den Fall einer Corona-Infektion in der Einrichtung auch mit Schutzanzügen ausgerüstet. Vor einer Erkrankung in der Einrichtung habe ich tatsächlich Respekt. Die Quarantäne stellt eine ziemliche Herausforderung dar und wir haben im Team entsprechende Notfallpläne entwickelt, um die Mütter und ihre Kinder dennoch versorgen zu können. Panisch bin ich aber nicht – wir hatten in den vergangenen Jahren schon diverse Krankheiten in der Einrichtung.
Was mir wirklich Sorge bereitet, sind die psychosozial belasteten Frauen, die nicht engmaschig betreut werden. Ich mag mir nicht vorzustellen, wie die Situation in diesen Familien ist. Gerade wenn die Kinder keine Betreuungseinrichtungen mehr besuchen können. Wir hatten das Glück, dass unsere Klientinnen sofort die hausinterne Kinderbetreuung nutzen konnten. Ohne diese Unterstützung wäre die Lage sonst sicher längst entgleist.
Beitragsfoto: Pexels
Dina Maria Dierssen
Veröffentlicht um 12:47h, 11 MaiEs gibt so viele Arbeitsbereiche, die wir in der Regel nicht im Blick haben. Es gibt so viele Frauen, die für sich und ihre Kinder Menschen an ihrer Seite brauchen, damit sich für sie gute Lebensperspektiven entwickeln. Es gibt so viele Frauen, die sich dieser Arbeit widmen – und dies, wie jetzt, unter schwierigen Bedingungen für sich selbst tun. Stellvertretend an dieser Stelle: Danke für dieses tägliche Engagement und die Gewissheit, dass Gott besonders da ist, wo es eng und schwierig wird.