Wider die Konventionen! Ein Selbstversuch.

Meine Eltern waren zu Besuch – und ich erlebte ein innerliches, ungeplantes, explosives Aufbegehren, das sich in kleinen Zeichen schon lange anbahnte. Was ist passiert?

Zur Geschichte I

Meine Eltern sind liebe Menschen, um die 1940er Jahre herum geboren. Mit Anfang 30 sind sie selbst Eltern geworden. Unsere Kindheit war geprägt von Landluft, Freiheit, Schutz und Behütetsein. Dann gingen wir in die Welt, leben inzwischen ganz woanders. Meine Schwester und ich bemerken, wie ähnlich wir unseren Eltern doch sind. Das ist schön! Andererseits entdecken wir Dinge und Haltungen, von denen wir uns lösen möchten – manches erscheint uns nicht mehr, sagen wir: zeitgemäß. Dafür mussten wir erwachsen werden und unsere eigenen Leben, die sich völlig unterschiedlich entwickelten, eine ganze Weile leben.

Zur Geschichte II

Also, meine Eltern waren zu Besuch. In den Pfingstferien. 4 Tage, für die ich Urlaub nahm. Das ist in Ordnung und mein Geschenk an sie. Früher fühlte ich mich sehr unter Druck, wenn sie kamen, und habe unbewusst insbesondere meine Mutter kopiert. Ihr Wunsch, es allen recht zu machen, bloß keinen Grund zur Kritik zu geben, jeden mehr als ausreichend zu versorgen, bei kleinsten Anzeichen von Bedarfen sofort zu springen und diese aus der Mimik des Gegenübers zu erahnen – beim Sitzen am Esstisch stets die Hand auf der Türklinke zur Küche. Das Ansinnen meines Vater, dass keine Langeweile oder gar Pause aufkommt, dass alle beschäftigt sind und die Zeit ereignisreich vergeht. Mir fällt auf, dass ich sogar meine Schwiegermutter imitiere. In ihrem beständigen Wunsch zu vermitteln: „Es ist ja nicht so als könnten wir das nicht, als hätten wir das nicht, als wüssten wir nicht…“.

In meinen Anfangsjahren als junge Mutter bin ich daran verzweifelt, meinen inneren Ansprüchen einfach nicht gerecht zu werden, es nicht zu schaffen, wie es sein sollte. Ganz klassisch hielt ich meinem Mann bei seinem beruflichen Fortkommen den Rücken frei, wie man so schön sagt. Und ging nebenbei noch recht erfolgreich meinem eigenen Job nach, war für die Kinder der Halt und für die Wohnung die Putzfrau. Das klappte prima, die Welt war zufrieden, nur meine eigene war nicht in Ordnung. Bis ich das allerdings bemerkte, vergingen viele, wichtig: auch sehr gute, Jahre. Und jetzt?

Mein ganz persönlicher Blick auf eine kleine Rebellion

Jetzt breche ich aus, schieße manche Konventionen in den Wind, verstoße ab und an gegen das Gebot der Schicklichkeit und tue die Dinge so, wie sie zu mir, meiner Familie und den Umständen passen. Und das sieht beispielsweise so aus:

Morgens verabschiede ich die Kinder, eines nach dem anderen, im Schlafanzug. Das bedeutet, dass ich mit verwuscheltem Haar und keineswegs perfekt gestylt vor’s Haus und auf die Straße trete, einen Sohn nach dem anderen knutsche und ihm nochmals einen schönen Tag wünsche. Dabei begegnen mir jeweils eine ganze Menge Menschen. Erst danach mache ich mich in aller Ruhe fertig und fahre ins Büro.

Manchmal, wenn ich Zeit habe, setze ich mich mit meinem Espresso vor die Haustür in die erste Morgensonne. Auch im Schlafanzug, nur ein Sweatshirt übergeworfen. Ich grüße die vorbei laufenden Menschen, freue mich über einen ersten Plausch. Der Satz: „Was werden die wohl von mir denken – hat die nichts zu tun“, streifte mich früher kurz, inzwischen nicht mehr. Mein Mann findet mich dann fürchterlich, hat aber gelernt, mir diesen Morgen-Moment zu gönnen. Toll!

Ich mache jetzt, mit Mitte 40, eine Mittagspause, weil meine Energie nach Job, Mittagessenkochen und Erzähl- oder Beschwerderunde der Jungs, der Nachmittagsorga und dem Hausaufgabenanstoßen einbricht. Lässt das Wetter es zu, lege ich mich auf unser Trampolin auf der Dachterrasse. Es kommt vor, dass aus der halben Stunde eine lange Weile mit einem guten Buch wird. Egal, was die Nachbarn denken.

Wäsche hänge ich (auch) sonntags draußen auf, weil ich die Arbeit sonst einfach nicht schaffe. Für meine Eltern habe ich nur etwas aufgeräumt, auf die übliche Putzorgie allerdings verzichtet. Es waren ja Ferien und ich wollte lieber mit den Jungs ins Schwimmbad gehen. So trafen meine Eltern auf Spinnenweben in der Ecke und Staub auf der Lampe, Bad und WC blitzten nicht wie sonst. Sauber war es trotzdem. Ich servierte Spaghetti mit Fertig-Pesto, Joghurt und Rohkost anstelle eines Bratens. Wenn mein Schwager Geschenke und Bastelmaterial bringt und Chaos verursacht, freue ich mich über die Zeit, die er meinen Jungs und uns allen schenkt – und belasse es bei dem Durcheinander, auch wenn meine Eltern gerade zu Besuch sind. Fast bin ich stolz auf mich!

Mein kleines Fazit

Wohlgemerkt: Vieles stört mich sehr und ich sehe die Spinnweben oder das Unkraut, die dreckigen Fenster, unaufgeräumten Kinderzimmer und Wäscheberge durchaus. Aber ich will nicht mehr immer dem Perfekten hinterher rennen, nicht mehr alle gängigen Konventionen bedienen und mich dabei völlig verausgaben. Ich will nicht gegen alles Gelernte und Verinnerlichte verstoßen, doch ich beginne gegen die kleinen Dinge zu rebellieren. Freilich nicht auf den Schultern der anderen. Sondern so, dass es, neben Unverständnis vielleicht, im besten Fall ein Schmunzeln ins Gesicht zaubert. Und mich entlastet und zufrieden macht. Glücklich sogar.

K Fechner
Kathrin Fechner
fressbefreit@gmail.com

Kathrin Fechner ist Rheinländerin in Stuttgart, außerdem leidenschaftliche Schreiberin zu vielen Themen, die sich insbesondere aus ihrem turbulenten Familienleben mit 3 pubertierenden Söhnen, ihrer Sportbegeisterung und ihrer persönlichen Gesundheitsbiografie ergeben. Kathrin leistet glücklich Hintergrundarbeit im kirchlichen Dienst.

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