“Mir ist wichtig, dass wir die Bedürfnisse und Erfahrungen realer Frauen im Blick haben”

Im Gespräch mit Cornelie Ayasse, neue Landesfrauenpfarrerin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Frau Ayasse, Sie haben das Amt der Frauenpfarrerin im Mai übernommen. Was reizt Sie besonders an Ihrer neuen Aufgabe? Und welche Herausforderungen sehen Sie?

Die Arbeit mit Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch meine Berufsbiografie und jetzt freue ich mich, dass ich als Landesfrauenpfarrerin mich darauf konzentrieren kann. In einer Zeit des Umbruches ist es besonders notwendig darauf zu achten, dass das, was wir bereits erreicht haben in der Frauenbewegung nicht wieder verloren geht. Frauen tragen die Kirche mit ihrem Ehrenamt und dazu sollten Sie auch eine verlässliche und qualifizierte Unterstützung bekommen.  Mein Interesse, auch bedingt durch meinen 6 -jährigen Arbeit als Pfarrerin in Hongkong und Taiwan ist es die interreligiöse Ausrichtung zu verstärken. Mit der Weltgebetstags- Arbeit sind wir bereits gut international und interkulturell aufgestellt.

Die Herausforderungen bestehen insbesondere im Rückgang der finanziellen Ressourcen, was sich auch personell bemerkbar macht. Auf diesem Hintergrund ein qualitativ hochstehendes Programm anzubieten, das sich durch Aktualität und Lebensnähe auszeichnet, ist ein Kraftakt.

Eine geschlechtersensible Theologie, die heute notwendig ist, kann nur in Kooperation mit dem Männerwerk entwickelt werden. Das wird spannend.

Warum braucht es im Jahr 2021 eine frauenspezifische Spiritualität?  

Ich spreche lieber von einer frauengerechten Spiritualität. Und die ist auch 2021 wichtig, weil Frauen hier ihre Perspektiven und Lebenserfahrungen einbringen und sich so eingebunden fühlen. Die Sehnsucht nach heilsamen Begegnungen ist groß. Liturgische frauengerechte Elemente haben stärkende Kraft. Gottesdienst und Alltag gehören zusammen. Die ökumenische Verbundenheit hat für eine große Vielfalt auch in gottesdienstlichen Formen geführt. Aber wir sollten darauf achten, dass wir nicht zu einseitig Frauen und Weiblichkeit betonen.  Mir ist wichtig, dass wir die Bedürfnisse und Erfahrungen realer Frauen im Blick haben. Wir stehen in der christlichen Tradition und können diese in evangelischer Freiheit frauengerecht und lebensfreundlich füllen.

Welche Themen brennen Frauen Ihrer Erfahrung nach besonders auf der Seele?

Hier ist die Vereinbarkeit Beruf, Karriere und Familie ein Thema, das die Frauen immer umtreibt. Aber auch der Blick in die Zukunft beunruhigt viele Frauen. Wie werden wir die Klimakrise in den Griff bekommen, wie sieht es mit der eigenen Altersversorgung aus?  Besonders alleinerziehende Frauen sind stark bedroht von Altersarmut. Frauen zwischen 40- 60 sind meist sehr beansprucht, nicht nur im Beruf, sondern sie tragen Verantwortung für die heranwachsenden Kinder und oft gleichzeitig für die eigenen ältergewordenen Eltern. Wo bleiben da die eigenen Bedürfnisse? Wie schafft frau eine gute Balance zwischen Pflichten und Selbst-Achtsamkeit? Auch die Situation der Single-Frauen wird im kirchlichen Kontext oft übersehen.

Haben Sie selbst einen Wandel im Frauenbild der Gesellschaft bzw. im kirchlichen Umfeld erlebt?

Ja, natürlich. Als meine Mutter nach einer langen Familienzeit wieder in ihren Beruf als Erzieherin einsteigen wollte, gelang ihr das nicht mehr. Ich selbst konnte als Theologin mit 3 Kindern Elternzeit nehmen oder mit meinem Mann die Stelle teilen und dann wieder zeitnah in den Beruf einsteigen. Heute ist es angebracht und es wird erwartet, möglichst nach einem Jahr wieder beruflich durchzustarten, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dazu braucht es aber eine gute qualifizierte wohnungsnahe Betreuung des Kindes. In unserer mobilen Gesellschaft ist es zunehmend die Ausnahme, ein familiäres Netz in der Nähe zu haben. Auch die Möglichkeit von Homeoffice ist nach Corona eine gute Option, wobei hier aber auch gerade für Frauen der Rückfall in tradierte Rollen droht. Heute sehe ich besonders bei den jüngeren Frauen die Gefahr, dass sie sich sehr unter Druck setzen und hohe Erwartungen an sich selbst stellen.

Gibt es Frauen, von denen Sie persönlich im Laufe Ihres Lebens besonders profitierten?

Ja, zuerst meine Großmutter, die Jahrgang 1901 mit Ausnahme-Antrag das Gymnasium besuchen durfte und ihr ganzes Leben eine kritische und aufgeschlossenen Zeitgenossin war. Sie hat mich sehr unterstützt und motiviert bei meinem Berufswunsch Pfarrerin zu werden. So hat sie mich bei der Vorbereitung auf das Graecum unterstützt und konnte bald besser Altgriechisch als ich.

Meine Mutter hat mir mit ihrem Gottvertrauen den Zugang zum Glauben gut geebnet und ich bin in großer Freiheit aufgewachsen. Theologisch war Dorothee Sölle mir eine wichtige Lehrerin. Sie hat mich tief beeindruckt mit ihrer politischen und feministischen Ausrichtung. Gleichzeitig war sie fromm und ohne irgendwelchen Dünkel. Ich hatte sie in meiner Zeit als Repetentin ins Evangelische Stift eingeladen. Sie hat sofort zugesagt und kein Honorar verlangt. Der Abend mit ihr war ein Highlight im Evangelischen Stift für alle Anwesende.

Liebe Frau Ayasse, herzlichen Dank für die Antworten und für Ihre neue Aufgabe alles nur erdenklich Gute sowie Gottes reichen Segen!

 

Mirjam Hübner
Mirjam Hübner
mirjam.huebner@online.de

Mirjam Hübner ist Diplom-Journalistin und Kommunikationstrainerin. Sie berät die Evangelischen Frauen in Württemberg in Fragen der Online-Kommunikation und der Pressearbeit. In ihrer Freizeit wandert und liest sie gerne – am liebsten mehrere Bücher gleichzeitig.

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