10 Jun “Die Verantwortung gemeinsam schultern”
Carina Wegner ist stellvertretende Geschäftsführerin der Evangelischen Mütterkurheime in Württemberg e.V.. Wir haben mit der Sozialpädagogin über Müttergesundheit in Zeiten der Pandemie gesprochen.
Frau Wegner, die Corona-Pandemie gleicht mittlerweile einem Dauerlauf. Welche Veränderungen stellen Sie bei den Müttern fest, die in Ihre Beratung kommen?
In den Gesprächen tauchen vor allem zwei Themen auf. Zum einen übernehmen Frauen noch mehr Verantwortung für das Gelingen des Familienalltags als es vor Beginn der Pandemie der Fall war. Sie wuppen den Haushalt, die eigene Berufstätigkeit und kompensieren jetzt auch noch die wegbrechenden Betreuungsmöglichkeiten. Selbst bei Paaren, die sich die Familienverantwortung vorher paritätisch teilten, hat in der Pandemie eine Retraditionalisierung in der Rollenverteilung stattgefunden. Das ist faktisch belegt: Frauen reichen mehr Kind-Krank-Tage bei ihrem Arbeitgeber ein als Männer und sind in eher dazu bereit, ihre Arbeitszeit zu verkürzen.
Zum anderen haben wir in unseren Mütterkurheimen festgestellt, dass die Frauen dünnhäutiger geworden sind. Die Nerven liegen blank. Mütter brauchen länger, um überhaupt regenerieren zu können. Außerdem werden dringend benötigte Maßnahmen kurzfristig abgesagt, weil es die volatile Betreuungssituation zuhause nicht zulässt, dass die Mutter “auf Kur” fährt. Das ist vor allem bei unseren reinen Mütterkuren der Fall.
Worin liegt für Sie die Krux beim Thema Verantwortung in der Familie?
Auch hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zunächst müssen wir festhalten, dass viele Mütter schon vor der Pandemie an der Grenze ihrer Belastungsfähigkeit waren. Nun ist das Gesamtpaket noch größer: Die Mutter ist zusätzlich Lehrerin, Erzieherin und beste Freundin ihrer Kinder – eine Tatsache, die zwangsläufig zur Überforderung führt. Frauen in Familienverantwortung sind von jeher “Durchhalterinnen”. Da durch das wechselnde Infektionsgeschehen lange Zeit eine Perspektive auf Besserung fehlte, fühlen sie sich zunehmend ausgelaugt.
Dazu stellt sich Frage nach der Verantwortung in und für die Familie in der jetzigen Ausnahmesituation jeden Tag auf´s Neue. Ist es in Ordnung, wenn mein Sohn oder meine Tochter einen Klassenkameraden zum Spielen trifft? Wie gehen wir mit den Großeltern um? Muss ich als Mutter den versäumten Lernstoff mit meinem Kind nachholen? Gilt heute noch, was gestern galt?
Die Beantwortung zieht ein ständiges innerliches Austarieren nach sich, erfordert Mut zur eigenen Entscheidung und damit viel zusätzliche Kraft. Familie ist ein fragiles Konstrukt, das sehr sensibel auf Veränderungen reagiert.
Was raten Sie Müttern, um dennoch einigermaßen gut durch diese Zeit zu kommen?
Da gibt es definitiv keine pauschale Lösung. Zentral ist, dass in der Familie selbst darüber diskutiert wird, wie die Verantwortung besser aufgeteilt werden kann. Mütter fühlen sich häufig für alle Prozesse in der Familie zuständig, vom Einkaufszettel bis zum Geschenk für den Kindergeburtstag der Kindergartenfreundin. Klare Absprachen helfen – auch wenn sie zunächst noch mehr Kraft kosten. Darüber hinaus ist es für Frauen in Familienverantwortung wichtig, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren. Das ist zunächst ein innerer Vorgang. Wenn eine Mutter z.B. für sich feststellt, dass ihr der morgendliche Smalltalk vor der Kita fehlt, darf sie sich bewusst für einen kurzen Spaziergang an der frischen Luft verabreden. Wer merkt, dass das Home Schooling mit dem eigenen Kind gut läuft, am Nachmittag aber regelmäßig die Luft raus ist, lädt eine Freundin zum Spielen ein. Ich möchte Mütter gerne dazu ermutigen, genau hin zu spüren, was ihnen helfen könnte – auch wenn es kleine Dinge sind.
Nicht zuletzt können sich alle Frauen in einer der Kreisdiakoniestellen beraten lassen. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies oftmals sehr entlastend wirkt.
Frau Wegner, vielen Dank für das Gespräch!
Keine Kommentare