“Corona hat für mich ganz viel mit Geschenken zu tun”

Dagmar Öttle ist Koordinatorin im Betreuten Wohnen der Evangelischen Diakonissenanstalt Stuttgart und neu im EFW-Präsidium. Wir haben mit ihr über ihren Corona-Alltag gesprochen.

Dagmar Öttle gehört dem Ende 2020 neu gewählten EFW-Präsidium an.

 

Frau Öttle, stellen Sie uns Ihren Arbeitsplatz in der Evangelischen Diakonissenanstalt bitte kurz vor.

Ich arbeite als Koordinatorin für Betreutes Wohnen. So steht es auf dem Schild neben meiner Tür.  Inhaltlich bedeutet es, dass mein Leben stattfindet mitten in der kunterbunten lebendigen Evangelischen Diakonissenanstalt im Stuttgarter Westen. Knapp 100 Bewohner. Eine Hausgemeinschaft, die mich fordert und dafür sorgt, dass meine Tage nie langweilig oder berechenbar werden. Ich liebe das kreative Chaos und all die Begegnungen, die jeder Tag für mich bereit hält. Ich versuche allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Plane Veranstaltungen, löse kleine und große Probleme, führe Gespräche. Kurz: Ich teile mein Leben mit den Menschen im Betreuten Wohnen. Zu diesen Menschen gehören auch die Mitglieder der Schwesternschaft, zu der ich gehöre. Die Diakonissen und Diakonischen Schwestern und Brüder, die hier wohnen und deren Mutterhaus auch auf dem Areal ist. Ein Ort, an dem gebetet wird. In unserer Kirche bei den täglichen Andachten und Gottesdiensten, bei den Gebetszeiten und den ganz persönlichen Gesprächen mit Gott. Ja, auch etwas Verwaltung gehört dazu.

Als Gerontologin mit dem Schwerpunkt Quartiersarbeit versuche ic,h die Brücke zu schlagen in den Stuttgarter Westen mit Urbanem Gärtnern, mit einem Medienprojekt und mit offenen Veranstaltungen für alle, die gerne daran teilnehmen möchten. Ich habe Ausbildungen als Erzieherin und als Krankenschwester und bin froh, dass ich alles, was ich jemals gelernt habe, jetzt gut gebrauchen kann.

Wie erleben Sie die Corona-Krise?

Corona hat für mich ganz viel mit Geschenken zu tun. Zuerst war da geschenkte Zeit. Zeit, in der uns wunderbare Musiker Hofkonzerte geschenkt haben, z.B. bei schlechtem Wetter Konzerte, übertragen aus unsere Kirche in die Wohnungen zu den Bewohnern. So viele Menschen haben an jedem Abend unterschiedliche Angebote gemacht: Märchen, eine Fortsetzungsgeschichte, Gymnastik, Lyrik. Es ist erstaunlich, was alles über ein Mikrofon funktioniert. So viele Menschen haben an uns gedacht, uns gefragt, wie sie uns helfen können und auch innerhalb des Hauses haben wir einander geholfen, uns unterstützt und individuelle Lösungen gefunden.

Welche Veränderungen gibt es für die Bewohnerinnen, aber auch für Sie als Mitarbeiterin?

Am meisten hat uns die Gemeinschaft gefehlt. Einander zu sehen und wahrzunehmen, wie es dem Nächsten geht. Ein paar Regelungen haben wir gefunden, um weiterhin Raum zu teilen. Bis heute gibt es gemeinsame Mahlzeiten – allerdings auch da auf Abstand. Wir leben Gemeinschaft im gemeinsamen Hören auf Gottes Wort, auch wenn nur wenige in die Kirche können. Die Lautsprecheranlage ermöglicht das Übertragen in die Wohnungen.

Es wird mehr telefoniert und die neuen Medien werden mehr als bisher als Geschenk empfunden, weil wir schon vor Corona einen Hausgemeinschafts-Chat hatten, der jetzt ganz neu Bedeutung erlangt. Und für mich war es wunderschön, dass ich während meiner eigenen Corona-Erkrankung immer wieder Bilder und Videos von Veranstaltungen und Ereignissen im Mutterhaus erhalten habe. Ich war die Erste, die die Krippe nach dem Aufbau im Mutterhausfoyer gesehen hat und auch die Bilder vom Adventszug im Hof mit dem traumhaft schönen Lichterstern sind mir ein Trost gewesen in meiner Krankheit.

Es geht uns allen gut und das erleben wir als große Bewahrung und als nicht selbstverständlich in diesen Tagen.

Berührt haben uns Abschiede. Trauerfeiern, die nicht stattfinden konnten. Rituale in der Schwesternschaft, die plötzlich nicht mehr möglich waren, Beerdigungen ohne Trauergemeinde.

Welche Unterstützung würden Sie sich von Kirche und Politik wünschen?

Wir wünschen uns, dass die Verantwortlichen uns im Blick behalten, dass sie handeln, wie es ihnen gut und sinnvoll erscheint und wir haben den Eindruck, dass genau das passiert. Gestern habe ich die Heimleitung unseres Pflegebereichs getroffen und sie hat mir einen Brief gezeigt, den die Schwestern des Pflegebereichs an Herr Spahn geschrieben haben um sich bei ihm zu bedanken und um ihn wissen zu lassen, dass sie für ihn beten. Ich bin sicher das wird ihm gut tun mitten in all der Kritik.

Frau Öttle, vielen Dank für den interessanten Einblick und weiterhin alles erdenklich Gute für Sie!

Beitragsfoto: pixabay, Portrait Öttle: privat

Mirjam Hübner
Mirjam Hübner
mirjam.huebner@online.de

Mirjam Hübner ist Diplom-Journalistin und Kommunikationstrainerin. Sie berät die Evangelischen Frauen in Württemberg in Fragen der Online-Kommunikation und der Pressearbeit. In ihrer Freizeit wandert und liest sie gerne – am liebsten mehrere Bücher gleichzeitig.

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