Corona bei Pfarrers – Pfarrerin Andrea Aippersbach ermöglicht Einblicke. Im Gespräch mit Kathrin Fechner

Corona hat alles verändert und verändert es noch. Persönliche Zusammentreffen werden zur Besonderheit und bleiben, insbesondere auch deshalb, oft nachhaltig in Erinnerung. Dies gilt aus meiner Sicht in besonderer Weise für den Lobpreis (LoGo)-Gottesdienst, den ich im Juni – nach langer Corona-Pause – endlich besuchen konnte. Voller Hoffnung, wieder singen zu dürfen, machte ich mich also auf ins Waldheim: Open Air, viel Platz, viel Luft und herrliches Wetter, Klavier, Mikro und Lautsprecher-Boxen, bekannte Gesichter, ein Liedblatt. Aus dem Singen wurde auf Grund der aktuellen Regularien dann ein stilles, inneres Summen. Trotzdem ein Gottesdienst-Besuch mit großer Wirkung:

 

 

Andrea Aippersbach ist seit eineinhalb Jahren Pfarrerin in Stuttgart Möhringen und im Fasanenhof. Wenn ich ehrlich bin, war der LoGo trotzdem meine erste Begegnung mit ihr. Schade, wie ich nun finde. Sicherlich habe ich einige schöne Gottesdienste und Aktionen aus ihrer Hand in der Vergangenheit verpasst. Das werde ich für die Zukunft ändern, nehme ich mir vor. Sehr spontan frage ich, ob ich sie anrufen dürfte. So kam es zu einem längeren Telefonat mit erhellenden Einblicken in den Alltag einer Pfarrerin, Mutter und Lebenspartnerin während der ersten Corona-Phase. Das Gespräch haben wir noch vor den Sommerferien geführt.

 Als Sie sich so persönlich im Gottesdienst vorstellten, dachte ich spontan folgendes: Wie Sie selbst wohl als Mensch, als (Ehe-)Frau und Mutter mit der Corona-Zeit zurechtkommen?

Tatsächlich war für mich die schlimmste Vorstellung, das Haus nicht verlassen zu dürfen, diese Bilder haben wir aus anderen Ländern gesehen. Nicht raus in die Natur zu dürfen, allein der Gedanke nimmt mir die Luft. Das führte dazu, dass ich mit meiner Familie jeden Nachmittag raus gehe, z.B. waren wir in der Wilhelma am letzten Tag vor der Schließung. Diese Ausflüge verbinden wir mit Hausaufgaben, z.B. für den Kunstunterricht.

Der Lockdown hat den Kindern viel Zeit für Projekte ermöglicht, was insbesondere meine mittlere Tochter sehr genießt. Sie hat beispielsweise eine Libelle aus Draht und Perlen gefertigt. Es war einfach mehr Zeit da.

Natürlich waren wir auch viel zu Hause, jeder am ipad etc. – irgendwann waren wir alle online. Die Kleine besonders schnell. Und was ich alles gelernt habe in der Zeit! Nicht nur Digitales. Sondern ich erlebe meine parallele Rolle auch sehr viel präsenter (Köchin, Mutter, Pfarrerin).

 

Wie geht es Ihnen in Ihrer Familie? Wer leistet die Erziehungsarbeit hinsichtlich Schule? Ist etwas anders als zuvor?

Wir streiten nicht häufiger. Nein, nur manchmal erlebe ich Überforderung bei meinen Töchtern, bspw. wegen der Schulaufgaben. Das strengt insbesondere meine mittlere Tochter an. Für mich ist die Situation ok, ich darf jeden Tag raus und so wurde es für mich der intensivste Frühling in Stuttgart überhaupt. Unseren Garten haben wir belebt und bepflanzt und jetzt sogar einen kleinen Gemüsegarten. Ich arbeite 50 Prozent, um auch diese Zeit für die Familie zu haben.

Ein Beispiel aus meinem aktuellen Spektrum: Die ‚Exerzitien im Alltag‘ waren sowieso geplant und von Beginn an ökumenisch angedacht, sollten allerdings ursprünglich analog stattfinden. Ruckzuck haben wir das Programm umgestellt auf online. Das war ein umfangreiches Arbeitspaket und blieb es auch über die gesamten 4 Wochen: Geistliche Begleitung mit täglichen Angeboten über 4 Wochen, Impulsen für den Tag für 43 Teilnehmende, sogar aus Irland. Ursprünglich geplant hatten wir für 12 Teilnehmende aus Möhringen, Fasanenhof und Sonnenberg. Ich habe währenddessen angefangen, ganz frühmorgens zwischen 6 und 8 Uhr am Schreibtisch zu sein und stellte fest, dass das fast die beste Arbeitszeit für mich ist, trotz des Aufstehens um 5 Uhr früh! Mein Mann hat dann oft abends übernommen.

Zu Exerzitienzeiten versuchen wir als Anleitende auch, uns bewusster raus zu nehmen aus dem Alltag. Es war ein ganz besonderes Erlebnis. Zwar war ich in anderer Rolle, nicht als Teilnehmende involviert, aber das Innehalten, Beten, das Dasein und Sich-Einfinden vor Gott, das Erden und Verwurzeln hat mir auch gut getan.

Für unsere Kinder war die Zeit des Lockdowns schwierig, sie durften sich jeweils nur mit 1 Freund treffen, das war für die Kleine zwar blöd, aber die Älteste ist schier eingegangen. Für die Mittlere war die Situation nicht ganz so problematisch. Schön war andererseits, dass wir ganz gut verreisen konnten – Ostern fanden keine Gottesdienste statt, darum war eine Reise möglich. Als Familie funktionieren wir ganz stabil.

 

Fehlen Ihnen Ihre Freundschaften? Oder schaffen Sie es, diese zu pflegen? Und vor allem: Wie?

Das erlebe ich als schwierig. Viele Freunde wohnen nicht in Stuttgart. Wir nutzen Messenger-Dienste für Ermunterungen, Lieder oder auch Clips. Diese kurzen Momente erlebe ich als sehr, sehr intensiv, dafür gibt es weniger lange Gespräche. Dinge, die ich mache, mache ich intensiver. Wie gesagt, ich bin froh, wenn ich draußen atmen darf. Draußensein, das tute ich auch für mich selbst, nicht nur für die Kinder. Trost und Loslassen können fällt mir persönlich leicht in der Natur. Manche Kontakte sind durch Corona abgebrochen, ich bemerke eine gewisse Sprachlosigkeit zu Beginn der Pandemie, jeder wurschtelte vor sich selbst hin. Das ändert sich jetzt wieder.

 

Wie erleben Sie Ihre seelsorgerliche Arbeit? Insbesondere mit dem Schwerpunkt auf Seniorenarbeit und Kontakten zu den Pflegeheimen im Stadtteil Möhringen. Vielleicht ist auch jemand verstorben – wie konnten Sie begleiten?

In der Seniorenarbeit nutze ich ausführliche Telefonate. Oft sind die Menschen deprimiert: Die Familien, die Enkel, das Einkaufen fehlt. Der Druck, der auf den Menschen lastet, ist enorm. Das ist mir nochmals sehr bewusst geworden. Die Exerzitien brauchten mir in diesem Kontext auch ein intensives Nachdenken über das Sterben und den Tod, das Loslassen und neues Leben.

 

Wie funktioniert denn der Zugang zu älteren Menschen ohne Online-Zugang?

Die Pflegeheime waren ja komplett zu und damit war auch die Passionszeit nicht erlebbar. So haben wir eine Liturgie für die Karwoche erarbeitet und Texte in die Wohngruppen gegeben zum gemeinsamen Lesen. Außerdem halten wir Gottesdienste im Freien ab, z.B. den Alten- und Pflegeheimen. Alte Menschen winken dann vom Fenster, das ist so berührend. Da schwappen auch bei mir die Emotionen.

 

Feste Arbeitszeiten kennen Sie ja nicht – ist die Corona-Zeit für Sie also leichter?

Arbeitszeit? Manches ist weggefallen, Neues kam hinzu – statt Präsenz gab/gibt es online-Gottesdienste, jeden Sonntag eine Andacht und Freitag nachmittags den ‚Gottesdienst unterwegs‘. Dann ziehen wir durch die Stadtteile und feiern 6 Gottesdienste am Stück mit Aktivbox. Auch das ist stets sehr berührend. Was ich alles in dieser kurzen Zeit gelernt habe, ist schon enorm.

 

Haben Sie selbst auch Angst – oder trägt der Glaube Sie hindurch?

Beklemmung, ja. Mir fällt manchmal das Atmen schwer. Die vielen Ungewissheiten belasten mich. Aber ich habe auch folgendes gelernt: Menschen können offensichtlich mit so einer Bedrohung leben, in äußerster Not. Irgendwie können wir das psychisch schaffen.

An Manches habe ich mich gewöhnt. Ich kann ja nicht ständig Angst haben und darüber nachdenken, wo ein Virus sitzt. Schließlich habe ich eine Tochter in der Grundschule ohne Abstandsgebot: Einen 1. Corona-Abstrich mussten wir schon machen – der war negativ. Das raubt mir dann den Schlaf, weil die Bedrohung so nahe an einen heranrückt.

Ich habe große Sorge vor einem weiteren Lockdown. Die Mütter werden verschlissen, die Frauenhäuser sind voll. Die Frauen erleben in dieser Zeit zu viel, zu eng und zu geballt. Diese ständige Belastung ist nicht mehr zu ertragen.

 

Können Sie regenerieren? Wie schaffen Sie das – gerne hätte ich einen Tipp!

Ich habe bemerkt, dass wir plötzlich in der Lage sind, Leute in Gremien via Video-Konferenz zu holen, es ist nicht immer gleich eine Dienstreise erforderlich. Das spart natürlich Zeit. Und ein Video erzeugt Gemeinsamkeit, von der man zuvor gar nicht so wusste. Manches funktioniert also auch in anderen Formaten.

Als Familie genossen wir es, während des Lockdowns mittags Zeit zu haben für ein gemeinsames Mittagessen, ein bisschen mehr Familienzeit für meinen Mann. Das war wirklich schön. Manchmal haben wir abends spontan gegrillt – das wäre ohne die Homeoffice-Zeit gar nicht möglich gewesen.

 

 

Werden die Menschen inzwischen nachlässiger?

In unseren Gremien werden wir sehr genau analysieren, wie viel geht, was geht und was nicht geht. Das ist ein Abwägen. Mein persönliches Umfeld ist ok. Doch jeder ist anders gestrickt. Und so werden wir wohl abwarten müssen.

Ganz herzlichen Dank für alle Offenheit, Geduld, den Austausch und insbesondere für das so angenehme Gespräch!

 

K Fechner
Kathrin Fechner
fressbefreit@gmail.com

Kathrin Fechner ist Rheinländerin in Stuttgart, außerdem leidenschaftliche Schreiberin zu vielen Themen, die sich insbesondere aus ihrem turbulenten Familienleben mit 3 pubertierenden Söhnen, ihrer Sportbegeisterung und ihrer persönlichen Gesundheitsbiografie ergeben. Kathrin leistet glücklich Hintergrundarbeit im kirchlichen Dienst.

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