“Der Weltgebetstag wird auch in 50 Jahren aktuell sein”

Gertrud Dorn wirkt seit 1969 aktiv beim Weltgebetstag mit. Sie hat viele Länder bereist, beeindruckende Frauen kennengelernt und unzählige Vorträge gehalten. Im Gespräch lässt sie uns an ihren Erfahrungen teilhaben.

Frau Dorn, erinnern Sie sich an die Anfänge des Weltgebetstags (WGT) in Stuttgart?
Da ich erst seit 1969 beim WGT in Stuttgart und ganz konkret vor Ort in Stuttgart-Feuerbach mitwirke, kenne ich die allerersten Anfänge nicht. Bei uns in Feuerbach war der WGT-Gottesdienst im Jahr 1969 ein ganz „normaler“ Gottesdienst nach dem Ablauf der WGT-Liturgie im Heft. Es gab keine kreativen Elemente wie heute. Die Gottesdienstbesucherinnen – ausschließlich Frauen, davon aber viele! – gehörten alle der evangelischen Gemeinde an.
Welche Themen sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Trotz des langen Vorlaufs in der Planung ist der WGT mit seinen Themen immer ganz aktuell. Das habe ich so ganz besonders bei Palästina, Ägypten, Kuba, Chile und Surinam erlebt.
Wir hatten immer den Eindruck, das Thema des WGT ist jetzt gerade „dran“: ob das nun Fragen der indigenen, religiösen und ethnischen Minderheiten betrifft oder die wirtschaftliche und soziale Not von Frauen und Kindern (von Umweltkatastrophen ganz zu schweigen). Die Informationen durch den WGT helfen sehr zum besseren Verständnis der verschiedenen Länder und damit auch der politischen Lage in der Welt.
An welchen WGT-Reisen haben Sie teilgenommen?
Für mich waren die Reisen in Länder des WGT immer essentiell, um authentische und lebendige Informationen weitergeben zu können.
Ich bin vor allem in Länder gereist, zu denen das Gustav-Adolf-Werk Kontakte hat oder Partnerschaften pflegt. Über diese Länder hatte ich mich bereits im Vorfeld intensiv informiert und kannte Einheimische vor allem aus dem evangelischen Umfeld.
Ich wusste also schon, worauf ich besonders achten musste und an welcher Stelle ich nachzufragen hatte, um weiterführende Informationen zu erhalten. Zu diesen Ländern gehören u.a. die WGT-Länder der letzten Jahre: Rumänien, Polen, Brasilien, Paraguay, Chile und Kuba.
Wie haben Sie sich auf Ihre Vorträge vorbereitet?
Meine Erfahrung ist, dass das Interesse an Hintergrundinformationen zum jeweiligen WGT-Land groß ist. Deshalb gehört es zur Vorbereitung, Materialien aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzustellen und durch gutes Bildmaterial zu visualisieren.
„Informiert beten“ – das ist das Ziel des Weltgebetstags.
Dem müssen auch die Informationen zum Land Rechnung tragen: es geht um die Situation der Frauen und Familien genauso wie um Religionen, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Bildung, Gesundheitswesen und Soziales – aber auch um die Schönheit des Landes, auf welche die Bewohner häufig sehr stolz sind.
Wenn dies nicht „trocken“, sondern lebendig präsentiert wird, entsteht ein anschaulicher Eindruck vom jeweiligen Land. Ich habe immer viel Freude dabei empfunden, in diesem Stil zu berichten.
Seit wann sind Sie in der WGT-Arbeit aktiv?
In WGT-Gremien habe ich mich nicht engagiert. Mein Engagement im Kirchengemeinderat (26 Jahre), der Landessynode (18 Jahre) und der Synode der EKD (12 Jahre) ließen keine weitere Gremien-Arbeit zu.
Aber ich engagierte mich vor Ort für den WGT und hielt viele Vorträge in Kreisen und Gemeinden. Das waren zum Beispiel 48 Landesinformationen über Paraguay, 29 über Surinam und 27 über Slowenien.
Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
Eine ökumenische Zusammenarbeit schon in der Vorbereitung des WGT ist selbstverständlich geworden. Die Frauen in den Gemeinden haben Selbstbewusstsein entwickelt und Freude an der Planung und kreativen Gestaltung eines Gottesdienstes. Ich beobachte eine große Offenheit, sich auf die Probleme und Sorgen der Frauen, die die WGT Liturgie geschrieben haben, einzulassen.
Das war nicht immer so. In den 1990er Jahren gab es immer wieder Auseinandersetzungen mit Frauen aus dem Pietismus, die meinten, Teile aus der Liturgie nicht mitbeten zu können, weil sie nicht unserer hiesigen politischen Meinung entsprachen. Wir haben zeitweise heftig darum gerungen und versucht, klar zu machen, dass die Liturgie des WGT nicht unsere Meinung über Gott und die Welt ausdrückt, sondern dass wir diese Liturgie als ein Geschenk der Frauen des WGT annehmen. Wir respektieren die Schenkenden und ihr Geschenk, wenn wir ihren Text unverändert als Grundlage unserer Fürbitte für sie, ihr Land und die Ökumene übernehmen.
Welches Empowerment hat der WGT mit sich gebracht?
Der WGT bewirkte meines Erachtens besonders bei denjenigen Frauen viel, die die Liturgie ihres Landes schrieben.
Frauen aus verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften fanden in den WGT-Ländern zusammen: trotz großer Entfernungen im Land, anderer religiöser/ethnischer Prägung sowie knapper finanzieller Ressourcen.
Sie „organisierten sich“ und gingen die Themen des WGT sehr kreativ an. Ferner gewannen sie Selbstbewusstsein und fanden zu mehr Selbständigkeit innerhalb und außerhalb des kirchlichen Umfeldes (das berichtete uns z.B. der Bischof der Dongala Kirche auf Nachfrage. Seit dem Weltgebetstag Indonesien hätten sich Frauen auf allen Ebenen aktiv und mutig an der kirchlichen Arbeit beteiligt).
Ist das nicht ein schönes Beispiel für Empowerment durch den WGT?
Welchen Herausforderungen sieht sich der WGT in Zukunft gegenüber?
Meine Vision vom WGT in 50 Jahren ist:
Frauen und Männer aus allen Religionsgemeinschaften engagieren sich in den Gemeinden gemeinsam in der Vorbereitung des WGT und feiern den Gottesdienst anschließend zusammen. Sie beten gemeinsam für Menschen in anderen Ländern und handeln auch gemeinsam. Der WGT mit seinen umfassenden Informationen ist ein Gewinn für alle, weil er die Augen öffnet und in Verantwortung ruft. Die Fürbitte für andere stärkt auch die Kräfte für einen sorgsamen Umgang mit den Menschen vor Ort und für mehr Aufmerksamkeit in den Fragen des Glaubens und des Zusammenlebens.
Ich bin davon überzeugt, dass der WGT auch in 50 Jahren mit seinen Themen, seiner Einladung zum informierten Beten und seinem tatkräftigen Einsatz für andere aktuell sein wird!
Fotos: pixabay Public Domain, Portrait Gertrud Dorn privat
Mirjam Hübner
Mirjam Hübner
mirjam.huebner@online.de

Mirjam Hübner ist Diplom-Journalistin und Kommunikationstrainerin. Sie berät die Evangelischen Frauen in Württemberg in Fragen der Online-Kommunikation und der Pressearbeit. In ihrer Freizeit wandert und liest sie gerne – am liebsten mehrere Bücher gleichzeitig.

1 Kommentar
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    Lore Raudonat
    Veröffentlicht um 11:26h, 09 Juli Antworten

    Herzlichen Dank liebe Gertrud Dorn für Dein langjähriges Engagement für den Weltgebetstag!
    Es ist sehr beeindruckend, wie Du Jahr um Jahr das jeweilige WGT-Land in so vielen Gruppen vorstellst.
    Wie Du unermüdlich Dich dafür einsetzt, dass Frauen und Mädchen weltweit gestärkt werden.
    Der Weltgebetstag ist ein Geschenk für alle! Und Du bist ein Geschenk für uns in Württemberg!
    Ich wünsche Dir weiterhin Gottes Segen für Dein Tun.
    Lore Raudonat und die Württembergische Arbeitsgemeinschaft für den Weltgebetstag

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