Wer braucht den Equal Pay Day?

Heute, am 18.03.2019, ist der diesjährige Equal-Pay-Day. Der Tag markiert den Tag, ab dem Frauen im Vergleich zu Männern nicht länger umsonst arbeiten.Was genau soll das heißen, wir arbeiten umsonst? In Deutschland ist es so, dass Frauen derzeit im Schnitt 21% weniger verdienen als Männer. Damit arbeiten wir Frauen bis zum 18. März quasi “umsonst”, weil die Lohnlücke noch immer so gewaltig ist.

Eine Unverschämtheit, denken Sie? Genau das ist mein Gefühl auch. Jetzt wurde aber in der Stuttgarter Zeitung ausgerechnet am Internationalen Frauentag am 08. März ein Leitartikel veröffentlicht, in dem eine Frau beschreibt, dass die Lohnlücke eben auf die freie und verschieden Berufswahl von Frauen und Männern zurückzuführen sei. Außerdem wollten viele Frauen selbst nicht an die Spitze, kurz: Frauen seien selbst schuld und die Diskussionen um gleichen Lohn und Gleichstellung seien längst überholt. (Kommentare zum Leitartikel unter “Reaktionen zum Leitartikel“)

Abgehängte Männer?

Mit diesem Gefühl sind heute viele Frauen und Männer unterwegs. Vielleicht haben auch Sie schon einmal gehört und selbst gedacht: die armen Jungen, im Vergleich zu den Mädchen werden sie immer mehr abgehängt, eigentlich bräuchten sie viel mehr Förderung – vielleicht sollten wir heute besser Jungen als Mädchen fördern? Denn: Mädchen machen die besseren Schulabschlüsse, Frauen die besseren universitären Abschlüsse und tatsächlich sind junge Frauen heute besser qualifiziert als Männer! Eine große Errungenschaft, im Bereich der Ausbildung haben wir uns also erfolgreich die Gleichstellung erkämpft – glauben Sie?

Tatsächlich sind trotz dieser Errungenschaften die Personen in Führungsebene nicht die jungen, gut qualifizierten Frauen. Diese scheinen über Jahrzehnte stabil vor allem Männern vorbehalten zu sein. Auch in Bereichen, in denen Frauen deutlich überproportional vertreten sind (und die deutlich unterbezahlt sind) wie der Pflegebereich oder besser gleich der ganze Care-Sektor findet sich doch an der Spitze der Betriebe – der Kindergartenleiter, der Vorsitzende des Diakonischen Werks, der Leiter der Pflegeheims – viel zu häufig ein Mann. Irgendwie schafft es der winzige Anteil Männer auch in diesem Bereich immer, an den gut ausgebildeten und hochqualifizierten Frauen vorbeizuziehen.

Diese Systematik funktioniert in fast allen Bereichen. Dabei wissen Betriebe eigentlich längst: durchmischte Leitungsteams führen Firmen erfolgreicher, kreativer und krisenfester als rein homogene, männliche Teams. Dieser Erkenntnis verweigern sich aber noch immer viele Firmen(chefs), sie stellen lieber nach dem Prinzip ein “Gleich und gleich gesellt sich gern”, weil das ein Automatismus ist, den ich reflektieren und mit Absicht abstellen muss, um ihn zu überwinden. Das ist ein Teil der Herausforderung.

Barrieren in den Köpfen

Weiterhin können Regelungen und Qualifikationen Barrieren in unseren Köpfen nicht überwinden. Es gibt nicht nur zahlreiche Männer die sich und ihren Geschlechtsgenossen mehr zutrauen, auch wir Frauen haben oft das Bedürfnis nachzuhaken, mit welcher Qualifikation eine Frau eine Firma leitet, verspüren dieses Bedürfnis aber keineswegs gleichermaßen bei Männern. In einem Gespräch mit einem Abgeordneten besprachen wir einmal, warum eigentlich Frauen sich so viel schwerer tun, sich als Kandidatinnen zur Wahl zu stellen als Männer. Er erzählte ungefähr im Wortlaut: “Wissen Sie, Frau Ulmer, wenn ich die Männer frage, ob sie kandidieren wollen, dann zögern diese unabhängig von ihrer Qualifikation nicht, im Gegenteil, neun von zehn glauben, sie werden “Stimmenkönig”! Wenn ich Frauen anspreche, dann kommen zunächst tausende Einwände und Unsicherheiten, egal wie qualifiziert sie sind und die Angst vor einer Niederlage bei der Wahl schwingt immer mit. Wie können wir Frauen da mehr Mut machen?”

Genau das ist die Frage. Wir Frauen sind oft strukturell benachteiligt, die “starken Frauen” an der Spitze haben sich durchgesetzt, haben sich angepasst an das männlich geprägte Spielfeld. Wer das nicht tut als Frau muss die richtigen Förderer und Förderinnen haben, muss am besten in einer Firma arbeiten, die gezielt auch nach “typisch weiblichen” Eigenschaften sucht, ansonsten wird sie abgestempelt als eine, der eben Familie wichtiger war als Karriere, wie “es ja auch sein sollte”.

Warum haben wir noch immer diese Klischees und Rollenbilder im Kopf? Warum bekomme ich erzählt, dass bei einer Mutter blöd nachgefragt wird, wenn diese sagt, mein Mann und ich arbeiten im gleichen Bereich, er hat auf 50% reduziert, ich arbeite weiterhin 100%? Weshalb ist es noch immer so selbstverständlich, dass wir Frauen für unsere Familien zurückstecken müssen und nicht die Männer, die ja ebenfalls Väter und damit Teil des Elternwerdens sind?

Soziale Prägung

Wir alle sind natürlich geprägt. Bei mir war es so, dass meine Mutter lange, lange Jahre zuhause blieb, um sich um uns Kinder zu kümmern. Und auch wenn mein Vater ebenfalls viel präsent war, so war dennoch der Alltag mit uns die Aufgabe meiner Mutter. Damit bin ich aufgewachsen. Das wird bei vielen Frauen und Männern meiner Generation nicht anders gewesen sein.

Außerdem habe ich als Kind sehr gerne Fußball gespielt, hatte nur eine Lieblingspuppe (meine schwarze Puppe Jim, benannt nach Jim Knopf) und baute am liebsten stundenlang Bahnstrecken und Legolandschaften, später dann Legotechnik. Im Grunde zeigte sich früh, dass ich durchaus technikaffin war und in der Schule begeistert von der Logik der Mathematik war. Dennoch bin ich heute im sozialen Bereich tätig, als Referentin, fernab von Technik und Mathematik.

Warum?

In der Schule war es keineswegs akzeptabel, mit den Jungs zu spielen und Mädchenkram doof zu finden. Es war nicht in Ordnung, den vorgegebenen Kleidungsstil zu ignorieren und schlichtweg keine Lust zum Einkaufen zu haben – als Mädchen. Akzeptiert wurde nur konformes Verhalten von Seiten der anderen Mädchen. Jungs fanden Mädchen in einer bestimmten Phase nur noch blöd, also musste ich doch bei den Mädchen Anschluss finden. Das funktionierte besser, wenn ich in den Pausen mit über die “süßen” Jungs geredet habe, statt Fußball zu spielen mit den Jungen. Das klappte immer mehr, als ich begann, mich zu schminken und mich für Schmuck und Klatschzeitschriften zu “interessieren”. Und natürlich wollte ich in der neunten Klasse nicht den naturwissenschaftlichen Zug nehmen, sondern wie alle anderen Mädchen und meine Freundinnen den sprachlichen Zug.

Ursachen und Visionen

Wir als Gesellschaft lassen bis heute keine freie, geschlechtsunabhängige Entwicklung zu. Das liegt an frühen Rollenzuordnungen der Industrie – versuchen Sie mal, für kleine Babys etwas zu finden, dass nicht rosa oder hellblau ist oder mit Schleifchen versehen ist – aber auch an Rollenzuteilungen in Familie und Gesellschaft. Da können und dürfen wir uns aber nicht wundern, dass Frauen eine andere Berufswahl treffen als Männer und dass Frauen ein anderes Verhaltensmuster an den Tag legen als Männer. Und wenn Frauen sich doch verhalten, wie Männer es tun, dann sind sie nicht durchsetzungsstark und echte Führungspersönlichkeiten wir die Männer, sondern blöde Zicken mit Haaren auf den Zähnen. Ein Ausbrechen aus Rollenmustern ist nicht gestattet, gerade uns Frauen nicht.

Hier liegen Ursache und Teil der großen Herausforderung des Equal-Pay-Days: wir Frauen sind in den schlechter bezahlten Sektoren und dann auch noch in den schlechter bezahlten Positionen. Hier sind wir häufig auch durch eigene Entscheidungen gelandet – frei sind diese aber nicht! Neben der Aufwertung klassischer “Frauenberufe” und der Durchsetzung von Quoten, um gleiche Teilhabe als “Normalzustand” zu etablieren, muss deshalb das Ziel auch sein: Rollenklischees und Geschlechterbilder müssen überwunden werden, Frauen und Männern müssen unabhängig von ihrem Geschlecht mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen wahrgenommen werden und Mädchen und Jungen müssen sich als Kinder und nicht in Rollen der “starken Jungs” und der “sozialen Mädchen” entwickeln dürfen. Das ist mein Wunsch zum Equal-Pay-Day!

 

Saskia Ulmer
Saskia Ulmer
saskia.ulmer@elk-wue.de

Saskia Ulmer ist Landesreferentin bei den EFW und zuständig für den Bereich Kirche und Gesellschaft. In Ihrer Freizeit, sofern sie diese nicht mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann verbringt, ist sie gerne sportlich aktiv. Dabei genießt Saskia Ulmer es, sowohl in der Natur Kraft zu tanken als auch in einem Teamsport Gemeinschaft und Spaß zu erleben.

Keine Kommentare

Kommentar schreiben