Corona-Ferien oder: Wie es mir als Junglehrerin geht

Die Autorin ist 25 Jahre alt und befindet sich in ihrem ersten Dienstjahr als Grundschullehrerin.

Sie ist Klassenlehrerin einer jahrgangsgemischten Eingangsklasse, d.h. zuständig für 26 Schülerinnen und Schüler der ersten und zweiten Klassenstufe.

Montag, 05:52 Uhr
Ich bin Frühaufsteherin, das war ich schon immer. So lautlos wie möglich stehe ich auf, frühstücke und ziehe mich an. Alle sagen, das sei das Wichtigste im Homeoffice – das Bett zu verlassen und sich so zu verhalten, als würde man tatsächlich zur Arbeit gehen. Danach öffne ich kurz meinen Laptop und ziehe die zu kopierenden Materialien auf meinen USB-Stick. Ab ins Auto und in die Schule fahren, dort die Arbeitsblätter kopieren und in den bereitgestellten Kisten deponieren – manche Kinder besitzen weder Computer noch Drucker, es bringt ihnen also nichts, dass ich gestern Abend die neuen Lernpläne und zugehörigen Arbeitsblätter auf unser Klassenpadlet (eine Art digitales schwarzes Brett) hochgeladen habe. Ich versuche, mich zu beeilen, dass ich vor den Notbetreuungskindern, die um 8 Uhr kommen, wieder weg bin, schließlich sollen wir uns so wenig wie möglich begegnen. Daheim zurück an den Schreibtisch, denn ich muss noch den Livestream für die Erstklässler vorbereiten. Währenddessen trudeln die ersten Mails ein – Familie A fehlt ein Heft, Familie B findet die ausgelegten Arbeitsblätter nicht, obwohl sie am gleichen Platz liegen wie letzte Woche. Dazwischen eine Mail der Schulleitung, wer noch Masken für die Notbetreuung braucht.

09:55 Uhr

Das Setup für den Livestream ist aufgebaut, alles, was ich für das heutige Thema „Entdeckungen an der Plustafel“ brauche, bereitgelegt. Ich freue mich auf den Stream. Das sind die Momente in der Woche, an denen sich mein Job fast normal anfühlt, auch wenn ich meine Erstklässler nicht vor mir sitzen habe, sondern nur als Zahlen auf dem Bildschirm unter dem roten Blinklicht sehe. Ich versuche, gute Laune zu verbreiten und stelle mir vor, wie die Kinder zuhause lachen müssen, weil mir beim Erklären die Klötze runterfallen. Ich stelle Fragen, die ich mir leider selbst beantworten muss und weiß, dass es Kinder gibt, die zeitgleich die Antwort in den Handybildschirm ihrer Mutter rufen. Während des Streams meldet sich der Vater einer Zweitklässlerin und fragt, ob ich ihm den Lernplan für diese Woche nochmal zuschicken könnte, da er die Seite mit dem Klassenpadlet nicht aufrufen kann.

11:04 Uhr

Nach dem Stream ruft mich eine Mutter auf dem Handy an, ihr Sohn sei heute nicht mitgekommen, das sei etwas zu schnell gegangen heute. H. sei nun sehr frustriert und würde überhaupt nicht mehr arbeiten wollen, ob ich eine Idee hätte. Überhaupt müsse sie Homeoffice machen und ihr Mann wäre bei seiner Arbeitsstelle. Außerdem mache sie sich Sorgen, dass H. das Klassenziel nicht erreicht und möchte wissen, ob ich schon weiß, wann die Schulen wieder öffnen. Ich antworte ihr so ruhig ich kann, dass es mir wahnsinnig leid tut, dass es zuhause so schwierig ist und dass ich mir etwas einfallen lasse, um H.s Motivation wieder zu steigern. Ich sage ihr, dass es keinen Grund zur Sorge gibt und H., gemessen an den Heften und Büchern, die ich mir in den Osterferien angeschaut habe, gut mitkommt. Nach dem Telefonat bin ich verunsichert und frage die Kollegin in der Notbetreuung per WhatsApp, ob die Kinder, die bei ihr den Stream angeschaut haben, gut mitgekommen sind. Sie gibt Entwarnung – also nur normale Heterogenität, beim nächsten Mal muss ich einfach dazusagen, dass sie das Video auch pausieren können, wenn es zu schnell geht.

11:53 Uhr

Auf dem Padlet warten neue Bilder darauf, von mir freigeschaltet zu werden. Über jedes Bild von den Kindern in ihrem Homeoffice freue ich mich wahnsinnig und vermisse die Interaktion mit ihnen. Wann werde ich wohl wieder mit ihnen gemeinsam lernen können? Ich lade die Bilder hoch, damit die Kinder sehen können, dass sie alle im selben Boot sitzen und sich gegenseitig über die Kommentarfunktion ermutigen können. Eine schöne Gemeinschaftsaktion und die neue Sportübung für zuhause kommen in die Spalte „Ideen für alle“. Danach schaue ich auf den Lernapps, welche Kinder woran gearbeitet haben. Wie erwartet sind es wieder die gleichen zehn Kinder, die mit den Apps gearbeitet haben. Manche Kinder wollen in ihrer Freizeit lieber draußen spielen oder etwas werkeln und haben Eltern, die ihnen zuhause viel Programm bieten, so dass sie das zusätzliche Angebot durch die Lernapps nicht benötigen. Andere wären vermutlich dankbar dafür, können es aber nicht wahrnehmen, weil ihr Vater den einzigen Laptop im Haushalt zum Arbeiten benötigt. Von Chancengleichheit kann hier nicht wirklich die Rede sein. Ich gebe mein Bestes, die Stimme in meinem Kopf zu überhören, die mir sagt, dass ich gerade nicht allen Kindern gerecht werde. Dass mir manche Kinder entgleiten und ich sie nicht genug fördere. Das schlechte Gewissen ist immer da.

13:30 Uhr

Nach meiner Mittagspause gehe ich zurück an den Schreibtisch. Eine neue Mail kommt rein und die WhatsApp-Nachricht einer anderen Mutter. Beide schildern, dass es ihnen seit den Osterferien immer schwerer fällt, ihre Kinder zu motivieren und fragen wieder danach, ob ich eine Idee habe. Sie bedanken sich beide für die Livestreams und die Mühe, die ich mir gebe, aber sie wüssten dennoch nicht weiter. Zusammen mit dem Telefonat vom Vormittag falle ich jetzt in ein Loch. Ich tu doch schon so viel, ist das denn noch nicht genug? Ich will nicht mehr, das alles zermürbt mich. Ich beteuere, dass ich mir etwas einfallen lasse, wie ich die Kinder aus der Ferne wieder motivieren kann und weiß nicht, ob ich damit mehr die besorgten Eltern oder mich selbst beruhigen will.

14:28 Uhr
Ich suche gerade in meinem Fundus nach motivierenden Aufgaben, die die Kinder auch von zuhause erledigen können, da bekomme ich ein Video einer Zweitklässler-Mutter. Ihr Sohn hat eigentlich massive Konzentrationsprobleme und schafft es im normalen Unterricht kaum, für zehn Minuten an einer Aufgabe dranzubleiben. Alle möglichen Maßnahmen, die ich in der Schule ausprobiert habe, schlugen bisher fehl. In dem Video sehe ich J. nun an seinem Tisch vor einem meiner Videos aus der letzten Woche sitzen und gebannt zuhören. Anschließend schreibt er die gerade kennengelernten Einmaleins-Aufgaben fehlerfrei auf. Ich bin unglaublich stolz auf ihn, denn das ist eine Leistung, die er unter normalen Umständen kaum bewältigt hätte. Wieder neu motiviert wende ich mich meiner Aufgabe zu – es gibt also doch irgendwas Gutes an der momentanen Situation, ich darf nur nicht aufgeben.

16:10 Uhr

Per Sprachnachricht tausche ich mich mit der Kollegin aus, die heute Notbetreuungs-Dienst hatte, damit ich für meinen Einsatz morgen gewappnet bin. Wir teilen uns die Notbetreuung momentan zu viert, da viele Kolleginnen aufgrund ihres Alters oder etwaiger Vorerkrankungen zu Risikogruppen gehören. Auch bei ihnen dominiert das schlechte Gewissen – diesmal uns gegenüber, die wir die Notbetreuung stemmen. Für mich ist es einerseits schön, wieder echten Kontakt zu Kindern zu haben, andererseits bin ich dort dazu verpflichtet, die Kinder, die nichts lieber tun wollen, als nach so vielen Wochen wieder miteinander zu spielen und zu lachen, voneinander fern zu halten. Keine besonders schöne Rolle. Ich merke auch, wie sehr es den Kindern auf die Stimmung drückt, schließlich haben sie keinen reichen Schatz an Erfahrungen und Erinnerungen, auf den sie zurückgreifen können.

17:36 Uhr
Ich führe das letzte Telefonat für heute: Ein Zweitklässler, der seine Materialpaket noch nicht abgeholt hatte, bei dem ich nachfragen wollte, wie es zuhause läuft. Er erzählt mir, dass seine Mama wieder arbeiten geht und er es deshalb noch nicht geschafft hat. Ich biete der Mutter, einer Alleinerziehenden, an, dass er ab morgen auch in die Notbetreuung kommt. Wo ich ihn im Klassenzimmer unterbringen werde, ohne die Abstandsregeln zu verletzen, weiß ich noch nicht, aber es wird schon gehen. Zum Abschied sagt N.: „Weißt du, ich freu mich schon. Endlich mal wieder Schule.“

Wir alle geben unser Bestes momentan. Manchmal erkennen wir dadurch neue Möglichkeiten, die wir in die Zeit „danach“ mitnehmen können. Manchmal reicht es nicht ganz aus und wir sind verärgert und frustriert. Trotzdem dürfen wir jeden Tag so nehmen, wie er kommt und darauf vertrauen, dass am Ende schon alles so wird, wie es werden soll.

Matthaeus 6
25 Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung? 26 Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?

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Gastautorin
efw@elk-wue.de

Hier im Blog schreiben immer wieder verschiedene Autorinnen aus dem Umfeld von EFW. Wir freuen uns sehr über Beiträge.

3 Kommentare
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    Kathrin Fechner
    Veröffentlicht um 17:59h, 02 Mai Antworten

    Meine 3 Söhne besuchen 3 verschiedene Schulen. In der Corona-Zeit erlebe ich unterschiedliches Engagement seitens der Lehrer – wie auch im normalen Schulalltag. Vor allem aber erlebe ich Menschen wie Sie, die besonnen und dabei kreativ, helfend und lehrend unterwegs sind, die sich dem Digitalen aussetzen und es zu nutzen üben und verstehen. DANKE dafür, das ist eine großartige Leistung! Danke für diesen wunderbaren Einblick in Ihren langen Arbeitstag. Mit herzlichen Grüßen, bleiben Sie behütet.

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    Dina Maria Dierssen
    Veröffentlicht um 08:42h, 01 Mai Antworten

    Danke für diesen Einblick hinter Ihren Alltag! Danke für Ihr Engagement und das vieler Kolleg*innen. Es ist eine merkwürdige Form von Atemlosigkeit, die sich beim Lesen auf mich überträgt. Qualität für alle zu liefern, wenn sich Rahmenbedingungen so individualisieren, wenn jeder Tag anders aussieht, Das tägliche Bemühen, zum Wohle der Kinder ein Stück Ordnung ins gestörte Ganze zu bringen, ist ein Kraftakt!
    Ich entdecke auch, dass neu über Bildungs- und Erziehungspartnerschaft und über Lernwege nachgedacht werden muss. Es ist schon auch erhellend, wenn über das technikbasierte Lernen plötzlich andere Kinder anspringen. So ein Kind habe ich auch zuhause. Es ist schwer für sie, gut durch die Schule zu kommen, und es ist großartig, wenn sich Türen auftun!

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    Sonja Steinmaier-Berner
    Veröffentlicht um 12:01h, 30 April Antworten

    Vielen Dank für den tollen Artikel. Ich bin gerührt, wie sehr Sie sich um Ihre Schülerinnen und Schüler bemühen. Weiterhin gutes Durchhalten!

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